Gemeinsam mit anderen Interessengemeinschaften aus Kunst und Kultur und der gewerkschaftlichen Initiative vidaflex fordern wir dringend die längst überfällige Anpassung der Sozialversicherungsleistungen für Künstler*innen an die tatsächlich herrschenden Arbeitsrealitäten!
Hier unser gemeinsam erarbeitetes Positionspapier, das am 24.05.24 an relevante Stakeholder in den zuständigen Ministerien und bei den SV-Trägern sowie an den Nationalrat verschickt wurde:
SOZIALVERSICHERUNG FÜR KÜNSTLER*INNEN IN ÖSTERREICH
Positionspapier
Wien, am 24. Mai 2023
Wir, der Kulturrat Österreich, der Dachverband der Österreichischen Filmschaffenden, die IG Autorinnen Autoren, IG Freie Musikschaffende, IG Freie Theaterarbeit, Initiative Tanz und Bewegungskunst Österreich, WORKING CONDITIONS - Working Group of Wiener Perspektive sowie die gewerkschaftliche Initiative vidaflex, haben uns zu einer solidarischen Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, eine längst überfällige Anpassung der Sozialversicherungsleistungen für Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen entlang der tatsächlich herrschenden Arbeitsrealitäten zu erwirken.
Wir stehen auf dem Standpunkt, dass auch im Kunst- und Kulturbereich das geltende Arbeitsrecht eingehalten werden muss, möchten aber darauf hinweisen, dass in zahlreichen Fällen eine eindeutige Zuordnung der Tätigkeit zu „selbständig“ oder „unselbständig“ nicht möglich ist.
Warum brauchen wir so dringend eine grundlegende Reform der sozialen Absicherungssysteme?
Die Anzahl der atypisch bzw. hybrid Beschäftigten, Neuen Selbständigen und insbesondere auch Solo-Selbständigen im Kunst- und Kulturbereich wächst stetig.
Die klassische Konstellation „Arbeitgeber*in - Arbeitnehmer*in“ mit kontinuierlichen und vor allem durchgängigen Beschäftigungsverhältnissen existiert in Kunst und Kultur überwiegend für die in Organisation und Verwaltung Beschäftigten in Theatern und Museen, bei Festivals, Verlagen und Filmproduktionsfirmen.
Sehr viele Künstler*innen arbeiten selbständig. So sind etwa Akteur*innen der bildenden Kunst, Autor*innen, Bühnen- und Kostümbildner*innen, Komponist*innen, Choreograf*innen usw. meist der Gruppe der Neuen Selbständigen zuzuordnen, wobei die meisten als Solo-Selbständige tätig sind. Neben dieser Gruppe gibt es außerdem viele atypisch bzw. hybrid Beschäftigte mit wechselnden Beschäftigungs- und Vertragsformen, z.B. an einzelnen Projekten kurzfristig mitwirkende oder mehrfach geringfügig angestellte Künstler*innen.
Für Solo-Selbständige, Neue Selbständige, atypisch bzw. hybrid Beschäftigte und für projektbasiertes Arbeiten greifen die geltenden Regulative der SV-Systeme, die noch aus dem vorigen Jahrhundert stammen, zu kurz und bieten keine ausreichende Absicherung - weder im Krankheitsfall noch bei Arbeitslosigkeit und betreffend Pensionsansprüche.
Da im Kunst - und Kulturbereich die Anzahl prekär tätiger und schlecht bezahlter Personen überdurchschnittlich hoch ist, zeigen Phasen der Erwerbslosigkeit und fehlende Versicherungszeiten hier noch schwerere Auswirkungen: oft gibt es keinen oder nur einen geringen Anspruch auf Arbeitslosengeld, nur niedrige Pensionsbeiträge bzw. nur eine geringe Anzahl an Beitragsmonaten; auch sonstige Leistungen des AMS wie Weiterbildung und Umschulungsangebote sind für Betroffene nicht zugänglich, gleichzeitig aber aus den geringen Verdiensten heraus für die oder den Einzelnen ohne Unterstützung des AMS nicht leistbar.
Paradoxerweise sind Leistungen aus den gezahlten Beiträgen oft auch noch gefährdet. Liegen zu wenige Beitragsmonate in der Arbeitslosenversicherung vor, entsteht vorerst kein Anspruch – obwohl Beiträge bezahlt wurden. Dasselbe gilt für Pensionsansprüche, die erst ausbezahlt werden, wenn 180 Beitragsmonate erreicht wurden – bei weniger Monaten entsteht derzeit kein Anspruch.
Wir haben daher einen Forderungskatalog mit Maßnahmen erarbeitet, die schnell umzusetzen wären und einfache und durchgängige Sozialversicherungsleistungen für atypisch bzw. hybrid und selbständig arbeitenden Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen bieten:
1. SOLO-SELBSTÄNDIGE IN KUNST UND KULTUR
Selbständige, die vollständig auf sich gestellt arbeiten und keine Mitarbeiter*innen haben, können nicht mit dem klassischen Bild eines „Unternehmens“ (mit einem/einer oder mehreren Eigentümer*innen und Mitarbeiter*innen) gleichgesetzt werden. Um diese Gruppe, die im Kunst- und Kulturbereich immer stärker vertreten ist, eindeutig zu definieren, arbeiten wir mit dem Begriff „Solo-Selbständige“.
Anpassungen bei den Sozialversicherungsleistungen für diese Gruppe - insbesondere auch in der Krankenversicherung - halten wir für unabdingbar: Da Solo-Selbständige beim Erwirtschaften ihres Einkommens von ihrer eigenen Arbeitskraft abhängig sind, können krankheitsbedingte Ausfälle zu einem hundertprozentigen Einkommensverlust und somit zu einer unmittelbaren Existenzbedrohung führen. Für Solo-Selbstständige braucht es daher dringend Krankengeld ab dem 4. Tag.
Wir fordern daher:
2. ATYPISCHE UND HYBRIDE BESCHÄFTIGUNGSVERHÄLTNISSE
Kurzanstellungen und tageweise Anstellungen sind insbesondere seit dem Wegfall der täglichen Geringfügigkeitsgrenze im Kunst- und Kulturbereich gehäuft anzutreffen und bringen den Betroffenen zahlreiche Nachteile.
Wir fordern daher:
3. ARBEITSLOSENVERSICHERUNG
Atypisch bzw. hybrid Beschäftige sowie selbständig tätige Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen brauchen einen leichteren Zugang zu einer Arbeitslosenversicherung, die so wie bei klassischen Arbeitnehmer*innen in erwerbsfreien Zeiten eine schnelle und flexible finanzielle Absicherung gewährleistet.
Wir fordern daher:
Die Einstiegsfristen in die freiwillige Arbeitslosenversicherung der SVS für Selbständige sind derzeit mit der einzigen Einstiegsmöglichkeit „sechs Monate ab der Verständigung über den Beginn der Pensionsversicherung nach GSVG bzw. FSVG“ und dann erst wieder nach 8, 16, 24… Jahren nicht praktikabel.
Wir fordern daher:
4. Komplizierte Beschäftigungsverhältnisse brauchen BERATUNG.
Das Arbeitsleben im Kunst- und Kulturbereich ist vielfältig und lässt sich nur selten ausschließlich klassischen Beschäftigungsverhältnissen zuordnen. Information und Beratung durch die Sozialversicherungsträger sind immer wieder kompliziert und nicht eindeutig und werden den Bedürfnissen und vor allem auch der sprachlichen Diversität der in Österreich arbeitenden Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen nicht gerecht.
Wir fordern daher:
Als sinnvollen nächsten Schritt schlagen wir einen Termin unserer Arbeitsgruppe mit Vertreter*innen von BMKÖS, BMAW, Sozialministerium, AMS, ÖGK, SVS und KSVF vor und bitten diesbezüglich um baldige Rückmeldung.
Wir freuen uns auf einen konstruktiven Austausch und eine gute Zusammenarbeit!
Kulturrat Österreich
Dachverband der Österreichischen Filmschaffenden
IG Autorinnen Autoren
IG Freie Musikschaffende
IG Freie Theaterarbeit
Initiative Tanz und Bewegungskunst Österreich
WORKING CONDITIONS - Working Group of Wiener Perspektive
vidaflex, Vereinigung der Ein-Personen-Unternehmen Österreich
Rückfragen bitte an:
Nadja Puttner - Branchensprecherin für Kunst und Kultur bei der gewerkschaftlichen Initiative vidaflex